Die Geschichte des Sozialverbandes
Der Sozialverband Deutschland im Wandel der Zeit
Vom Reichsbund zum SoVD
Über 1 Jahrhundert Geschichte des Sozialverbandes Deutschland spiegeln die Katastrophen der deutschen Geschichte ebenso wider wie die glücklicheren Zeiten des Aufbaus unseres sozialen und demokratischen Rechtsstaates.
Mehr noch: Was den Gründungsvätern unserer Organisation am 23. Mai 1917 mitten im ersten Weltkrieg vorschwebte und sie in die Gründungssatzung hineinschrieben, ist am selben 23. Mai, aber im Jahre 1949, hinsichtlich des sozialen Rechtsstaates im Grundgesetz verankert und bis in unsere Tage hinein ausgebaut worden.
Es fällt uns also ganz leicht, hier und heute zu sagen:
· Wir bekennen uns zum sozialen Rechtsstaat, den wir mit geschaffen haben.
· Wir bekennen uns zu einer Politik der Völkerverständigung und des friedlichen Interessenausgleichs, der zu einer sozial gerechten Weltordnung führen muss.
· Wir bekennen uns zum europäischen Zusammenschluss und zu einem sozialen Europa.
Die Ziele der Gründungsväter des Sozialverbandes Deutschland sind erreicht. Kann der Verband jetzt abtreten? Nein und nochmals nein! Denn es gilt auch, aus der Geschichte die Lehren zu ziehen.
Und eine dieser Lehren lautet: Soziale Gerechtigkeit, die unser Ziel ist, ist kein erreichbarer Zustand, sondern ein dauernder Prozess in einer sich wandelnden Gesellschaft.
Die Nazi-Herrschaft brachte dem deutschen Volk eine barbarische Diktatur, den zweiten Weltkrieg und 1945 den totalen Zusammenbruch. Zu den Kriegsopfern des ersten Weltkrieges traten die Millionen neuer Kriegsopfer, die Opfer von Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung, hinzu. Intakte staatliche Strukturen, die sich dieser Menschen hätten annehmen können, gab es kaum noch, auch keine schlagkräftigen Verbände.
1946 war die Gelegenheit zum Zusammengehen von Kriegs- und Arbeitsopfern, Rentnern und Hinterbliebenen da. Sie wurde am 29. November 1946 in Hamburg beim Schopfe ergriffen, als der „Reichsbund der Körperbeschädigten, Sozialrentner und Hinterbliebenen" wiedergegründet wurde. Er konnte sich bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland nur in der britischen Besatzungszone betätigen. In der sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR durfte der Reichsbund nicht entstehen, in der französischen und amerikanischen Besatzungszone entstand der VdK.
An der Zeitspanne von 1946 bis 1974 wird sichtbar, dass sozialpolitischer Fortschritt nur durch das Bohren sehr dicker Bretter erreichbar ist. Es kann ja kaum Zufall sein, dass bis heute etwa dieselbe Zeit bis zur Verabschiedung des neunten Teiles des Sozialgesetzbuches und des Behindertengleichstellungsgesetzes vergangen ist. Dabei hat unser Verband seit 1974 immer darauf aufmerksam gemacht, welchen Stellenwert er der sozialen Eingliederung der Behinderten beimisst und sie nachdrücklich gefordert.
Auch für die älteren Frauen haben wir Ende der achtziger Jahre einen überragenden Erfolg erzielt, als sie durch die Reform der Hinterbliebenenrenten 1986 von der Anerkennung ihrer Kindererziehungszeiten völlig ausgeschlossen werden sollten. Als sich alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte mit dieser Ungerechtigkeit weitgehend abgefunden hatten, hat unser Sozialverband den Kampf für die Kindererziehungszeiten der Trümmerfrauen allein fortgesetzt. Es ist uns in hohem Maße gelungen, die Öffentlichkeit dafür zu mobilisieren. Die damalige Bundesregierung leistete dagegen Widerstand, indem sie mit weit überhöhten Kosten die Finanzierbarkeit unserer Forderung bestritt. Erst als wir nachweisen konnten, dass das Babyjahr für die vor 1921 geborenen Mütter nicht 10 Milliarden Mark, sondern nur 2,5 Milliarden kosten würde, war der Widerstand gebrochen. Unsere gerechte Sache siegte - und es bestätigte sich später auch, dass wir richtig gerechnet hatten.
Wir können mit Stolz behaupten: Der Sozialverband Deutschland ist ein Kampfbund. Aber er greift zu keinen Waffen, die Menschen verletzen oder gar töten. Wir sind ein Kampfbund, der mit Worten kämpft - für eine menschenwürdige Gesellschaft. Doch sind wir nicht nur ein Kampfbund, sondern auch ein Feierbund nach dem Motto „Gemeinsam statt einsam".
Bei einer solchen Gelegenheit wie heute ist es angebracht, nicht nur die Arbeit zu würdigen, die an der Verbandsspitze geleistet wird. Die Hauptarbeit bei der Betreuung der Mitglieder und bei ihrer Integration in die Gesellschaft wird nach wie vor in den Orts- und Kreisverbänden geleistet. Unzählige treue und erfahrene Funktionäre sind daran beteiligt - oder um es einmal ganz deutlich zu sagen: Die Hauptlast der täglichen Kleinarbeit tragen die Frauen, und sie haben dafür unseren besonderen Dank verdient.
Hier schließt sich auch der Bogen zurück zu den Gründungsjahren, denn der Reichsbund hat sich in den zwanziger Jahren hohe Verdienste um die Emanzipation der Frauen erworben. Kriegerwitwen vertraten ihre Interessen in Fürsorgeausschüssen und als ehrenamtliche Richterinnen bei den Versorgungsgerichten selbst. Das gilt selbstverständlich auch für die Kriegerwitwen des 2. Weltkriegs. Mit ihrer zusätzlich übernommenen ehrenamtlichen Arbeit in unserem Sozialverband gaben diese Frauen ein leuchtendes Beispiel.
Es klingt heute etwas altertümlich, wenn ich auf den alten Wahlspruch unserer Organisation verweise, der lautet:
Im Dienste am Nächsten verzehre ich mich:
Aber er hat für die Geschichte unserer Organisation seine Berechtigung. Auch wenn wir heute auf unsere Banner geschrieben haben:
,,Soziale Gerechtigkeit gestalten - Demokratie stärken":
Die Aussage unserer Gründerväter wird damit nur bestätigt.
Wenn wir diesen Geist pflegen, sichert das am besten die Anziehungskraft und den Bestand des Sozialverbandes Deutschland. Und dazu gehört auch die Erkenntnis, dass soziale Gerechtigkeit nur in einem freien Staatswesen gedeiht.
Aber auch umgekehrt:
Die Freiheit erreicht nur dort ihre höchste Ausprägung, wo soziale Gerechtigkeit herrscht.
Möge uns allen dieser Zusammenhang
bei allem unserem Tun stets vor Augen stehen. Wir sind nahe bei den Menschen.